Wecken, was in uns schlummert

Dieses ist der Start zu einer Interviewreihe mit tollen Kollegen, die aus angrenzenden oder ergänzenden Berufsfeldern stammen. Den Anfang macht Aline Schmid, Achtsamkeitstrainierin aus der Nähe von Ludwigsburg.

1. Was hat Dich bewogen, Achtsamkeitstrainerin zu werden? Was war Dein innerster Antrieb?

Auf das Thema Achtsamkeit bin ich erstmals bewusst im Juni 2013 gestoßen. Zu dieser Zeit war ich selbst noch sehr unachtsam mit mir. Ich hatte eine leichte Erkältung über mehrere Wochen verschleppt. Statt mich zuhause mal richtig auszukurieren, bin ich weiter pflichtbewusst arbeiten gegangen. Damals war ich noch Social Media Managerin in einer Internetagentur, war mit einem großen Projekt betraut worden und wollte schlichtweg mein Team und die Kunden nicht hängen lassen. Aufgrund meiner eigenen starren Glaubenssätze habe ich einfach weiter "funktioniert".

 

So kam es, dass mir nach knapp zwei Monaten erstmals die Energie ausgegangen ist. Nicht mal die Wochenenden haben ausgereicht, um die Batterien wieder annähernd aufzuladen. Ich weiß nicht, ob ich es als "richtigen" Burnout bezeichnen würde, aber zumindest habe ich mich zum ersten Mal in meinem Leben körperlich und seelisch sehr erschöpft gefühlt. Das hat mich gleichzeitig erschreckt und traurig gemacht. So kraftlos kannte ich mich nicht, und so wollte ich nicht weitermachen.

 

Meine Mama hat mir daraufhin ein Buch empfohlen - "Timeout statt Burnout" von Cornelia Löhmer und Rüdiger Standhardt. Ich habe mich beim Lesen sehr verstanden und abgeholt gefühlt, die Gedankenanstöße aus dem Buch haben bei mir ein erstes Umdenken bewirkt. Dann habe ich erfahren, dass die beiden Autoren auch eine einjährige Trainerausbildung "Achtsamkeit am Arbeitsplatz" anbieten. Da wusste ich: Das will ich machen! Selbst lernen, achtsamer im Arbeitsleben zu sein und dann mein Wissen an andere Menschen weitergeben, denen es ähnlich geht. So habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt und gerade einmal fünf Wochen später mit der Ausbildung begonnen.

 

Die einjährige Ausbildung hat vieles in Bewegung gesetzt. Nicht nur, dass ich durch die eigene, tägliche Achtsamkeitspraxis wieder neue Kraft geschöpft und eine "gesündere" Arbeitshaltung entwickelt habe. Ich würde sagen, ich habe mich selbst noch besser kennen gelernt, kann meine Stärken leichter erkennen und die ein oder andere Eigenheit von mir mit einem nachsichtigen Augenzwinkern akzeptieren. Ich nehme jetzt auch bewusster wahr, was ich brauche und weiß, was mir wirklich wichtig ist. Das erfüllt mich sehr, macht mich glücklich und zutiefst dankbar.

2. Was ist Achtsamkeit eigentlich genau?

Das ist eine gute Frage, denn mittlerweile hat sich "Achtsamkeit" zu einem regelrechten Trendbegriff entwickelt, der für viele dennoch nicht wirklich greifbar ist. Meine Auffassung von Achtsamkeit orientiert sich an Jon Kabat-Zinn. Er zählt zu den westlichen Vorreitern in Sachen Achtsamkeit und hat auch die erfolgreichen MBSR-Programme (Mindfulness-Based Stress Reduction) entwickelt, auf denen beispielsweise auch meine eigene Ausbildung basiert.

 

Im Kern geht es beim Thema Achtsamkeit darum, bewusst und vorurteilsfrei bzw. wohlwollend mitzubekommen, was im gegenwärtigen Augenblick vor sich geht - sowohl in uns selbst als auch um uns herum. Sprich: Wir nehmen aufmerksamer unsere Gedanken, Gefühle und Körpersignale wahr und können dadurch bewusster und selbstbestimmter handeln, statt automatisch oder vorschnell auf äußere Reize zu reagieren. Wir bemerken beispielsweise schneller, wenn wir gedanklich abschweifen - also im "Autopilot-Modus" sind. So können wir uns wieder konzentrierter unseren Aufgaben oder Gesprächstpartnern zuwenden. Gleichzeitig haben wir ein besseres Gespür für andere Menschen, weil wir präsent und klar sind.

 

Außerdem stellen wir rascher fest, wenn uns im Alltag etwas belastet oder stresst. Zudem lernen wir, bestimmte Umstände so anzunehmen wie sie sind und können dadurch mit schwierigen Situationen leichter umgehen. Und wir verstehen immer besser, was uns wichtig ist und wir gerade brauchen. So können wir unser Leben aktiv gestalten und selbstverantwortlich für unsere körperliche und psychische Gesundheit sorgen.

3. Was liebst Du an Deiner Arbeit am meisten?

Menschen dabei zu unterstützen, wieder mehr in Kontakt mit sich selbst zu kommen - quasi den Schlüssel zu ihrem eigenen Zuhause wiederzufinden. Die gute Nachricht ist nämlich: In jedem von uns schlummert die Fähigkeit, achtsam und wertschätzend mit sich selbst umzugehen. Im Alltagstrubel vergessen wir das leider oft. Wir sind die meiste Zeit "im außen" und kommunizieren viel mit unseren Mitmenschen, beispielsweise via Smartphone. Ich will das gar nicht schlecht reden - auch ich bin sehr kommunikativ und gerne in Kontakt mit Menschen, die mir wichtig sind. Aus meiner Sicht sollten jedoch beides Aspekte im Ausgleich sein.

 

Die Erfahrung zeigt: Wer sich immer wieder auch Zeit für die eigenen Bedürfnisse einräumt, ist letztlich ausgeglichener und ruht mehr in sich selbst. Das hat für mich nichts mit Egoismus zu tun, sondern schlicht mit Selbstliebe.

4. Wem möchtest Du besonders helfen?

Besonders betroffen bin ich, wenn ich in meinen Seminaren mitbekomme, wie gestresst und erschöpft schon viele junge Menschen sind. Gerade Berufseinsteiger, aber auch Studenten und Schüler liegen mir daher am Herzen.

5. Welchen Rat gibst Du Menschen, die von ihrem Leben gestresst sind?

Zum einen würde ich empfehlen, im Alltag mehr "Ruheinseln" einzubauen. Dazu gehört auch, den Terminkalender deutlich zu entschlacken. Häufig sind es nicht nur die beruflichen Verpflichtungen, die uns unter Druck setzen, sonder gerade auch die vielen privaten Verabredungen, der sogenannte "Freizeitstress". Die daraus gewonnene Zeit kann zum Beispiel für Atem- und Entspannungsübungen genutzt werden, um richtig runter zu kommen. So kann jeder selbst für einen guten Ausgleich aus Phasen der Anspannung und Aktivität und Phasen der Entspannung und Ruhe sorgen.

 

Zum anderen hilft ein positiver Perspektivwechsel. Wer abends vor dem Schlafengehen aufschreibt, welche drei Dinge heute richtig gut waren, schläft zufriedener und erfüllter ein, als derjenige, der nur die vielen unerledigten Dinge auf der ToDo-Liste im Blick hat.

6. Woran erkennt man Deiner Meinung nach, dass man etwas unternehmen muss?

Die Warnsignale sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Stress kann sich einerseits physisch äußern, beispielsweise in Form von Migräne, Verspannungen, Rückenleiden, Magenbeschwerden oder häufigen Erkältungen. Andererseits gibt es auch psychische Indizien, wie Konzentrationsschwierigkeiten, Einschlafprobleme, Angstzustände oder depressive Verstimmungen. Grundsätzlich kann ich aber jedem nur ans Herz legen, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen. Wer präventiv regelmäßig Achtsamkeitsübungen macht, stärkt seine körperliche und seelische Widerstandsfähigkeit und fördert gleichzeitig seine emotionale Intelligenz. Das belegen mittlerweile zahlreiche Studien.

7. Wie gehst Du persönlich mit Stress in Deinem Leben um, wie bewältigst Du ihn, damit Du Dein Leben in vollen Zügen genießen kannst?

Ich nehme mir täglich mindestens eine Viertelstunde Zeit für meine Achtsamtkeitspraxis. Dabei entscheide ich immer situativ, welche Übung ich gerade brauche. Zurzeit meditiere ich beispielsweise jeden Morgen direkt nach dem Aufstehen und mache anschließend noch ein paar Yoga-Übungen. Wenn ich besonders viel Stress habe, versuche ich idealerweise auch abends vor dem Schlafengehen noch eine Übung einzubauen, damit ich gut aus dem Gedankenkarussell aussteigen kann. Mir persönlich hilft es auch immer, mit lieben Menschen darüber zu sprechen, was mich stresst, oder mir meine Gedanken von der Seele zu schreiben. Und ein liebgewonnenes Ritual in Sachen Gedankenhygiene ist auch mein Dankbarkeitstagebuch.

8. Was tust Du, um Stress vorzubeugen?

Ich achte mittlerweile sehr auf ausreichend "Ruheinseln" im Alltag und nehme mir bewusst Zeit für mich. Auch das Thema Zeitmanagement ist entscheidend, nicht alles erst auf den letzten Drücker zu tun. Was sich bei mir auch bewährt hat: Meine Gedanken aufmerksam zu beobachten und dann Dinge offen anzusprechen. So habe ich mir früher oft selbst Stress gemacht, weil ich davon ausgegangen bin, dass andere bestimmte Erwartungen an mich hätten. Im Grunde waren das aber nur meine eigenen Gedanken. Heute kläre ich die Erwartungen anderer offen ab und stelle immer wieder überrascht fest, wie wenig das mit dem übereinstimmt, was ich mir selbst zusammengereimt habe.

9. Welchen Tipp würdest Du einer besten Freundin geben, wenn es darum geht, ein achtsames Leben zu führen?

Wir haben die perfekte Werkzeuge immer dabei, um jederzeit und überall ein achtsames Leben zu führen: Unseren Atem und unsere fünf Sinne. Wer über den Tag verteilt immer wieder seine Sinneseindrücke wahrnimmt oder einige Male bewusst atmet, ist schon gut dabei. Darüber hinaus kann auch die oder andere formale Achtsamkeitsübung sicherlich nicht schaden. Genauso wichtig finde ich jedoch auch eine achtsame Haltung im Alltag zu kultivieren. Dazu gehört für mich auch, achtsam und wertschätzend mit unseren Mitmenschen und unserer Umwelt umzugehen. Achtsamkeit hat für mich eben immer beide Dimensionen: Aufmerksam mitzubekommen, was in uns vor sich geht, aber auch, was um uns herum passiert.

10. Und zum Schluss: wenn eine gute Fee erscheinen würde, um Dir einen beruflichen Wunsch zu erfüllen, welcher wäre das?

Zum einen möchte ich durch meine Seminare und Trainings noch mehr Menschen erreichen und auf einem Weg ein achtsameres (Arbeits-)Leben begleiten. Zum anderen würde ich mich gerne dafür einsetzen, dass Achtsamkeit und Resilienz schon früh gelehrt und trainiert werden - am besten als eigenes Fach an Schulen, Berufskollegs und Universitäten. Körperliche und seelische Gesundheit sind das wertvollste Gut, das wir haben. Die Kunst ist, sich im Alltag immer wieder daran zu erinnern, wie wir uns einen achtsamen Umgang mit uns selbst und anderen dauerhaft erhalten können.

 

Danke, liebe Aline, das waren wirklich sehr wertvolle und hilfreiche Impulse, die meine Leser von Dir mitnehmen konnten!

Aline Schmid ist Achtsamkeitstrainerin und Mediatorin aus der Nähe von Ludwigsburg und schreibt über Achtsamkeit im Alltag in ihrem Blog:

 

www.achtsam-im-alltag.de

 

Dort findet Ihr auch viele tolle Tipps und Übungen für eine achtsamere Lebensweise.

 

Darüber hinaus unterstützt sie Unternehmen in Workshops, Seminaren und Trainings, mehr Achtsamkeit in den Arbeitsalltag ihrer Mitarbeiter zu bringen:

 

www.achtsamesarbeitsleben.de/

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Andreas (Donnerstag, 24 August 2017 22:47)

    Liebe Anja, liebe Aline,
    danke für das interessante Interview! Ich konnte viele gute Anregungen für meinen Alltag mitnehmen; Ruhe. Zeit für mich und damit auch mehr Achtsamkeit unterschätze auch ich immer wieder in ihrer Bedeutung.... Danke und alles Gute!

  • #2

    Anja (Freitag, 25 August 2017 12:36)

    Lieber Andreas,

    vielen lieben Dank für Dein tolles Feedback! Schön, dass Dich das Interview inspiriert hat!

    Alles Gute für Dich,

    Anja